Jup, die Eröffnungen des 2. Viertels haben für Stockfish mehr getan als die des ersten. Mal sehen mit welchen Varianten die 2. Hälfte aufwartet. Man merkt auf jeden Fall, dass das aktuelle Leela Net im Endspiel stark zugelegt hat.
Betrachtet man die Ergebnisse, so sieht man allerdings auch die Stärken und Schwächen beider Programme. Stellungen die in ein Läuferfianchetto führen scheinen Stockfish nicht wirklich gut zu liegen. So scheiterte Stockfish vor allem in der Robatsch-Verteidigung und im Königsinder. Aber auch Damenindisch war nicht gerade eine Erfolgsstory. Und das es meist keine gute Idee ist gegen Leela Französisch zu spielen ist auch kein Geheimnis (wenngleich... einmal hat es dank eines Patzers geklappt, nämlich in der 12. Partie des Wettkampfs durch den bösen Patzer 67. Kf3 anstelle des sicher zum Remis führenden Td1).
Womit ich schon beim Thema bin, deine Ansicht zu relativieren. Klar, die Stockfishderivate haben für die Fernschachanalyse durchaus ihre Vorteile.. zumindest in bestimmten Stellungstypen. In anderen würde ich persönlich Leela den Vorzug geben. Warum? Ganz einfach. Schauen wir mal vom reinen Punktestand weg uns sehen uns an wer seine Punkte wie gewonnen (oder auch verloren) hat. Die Remispartien lasse ich jetzt mal außen vor (wenngleich auch hier einige Partien vergeben wurden, meist von Leela, die den Sack an entsprechender Stelle nicht zugemacht hat).
Über Partie 10 kann man den Mantel des Schweigens hüllen. Ben-Oni im Fernschach wäre ein Desaster, zumindest wenn man mit Stockfish analysiert. Leela sah sich von Anfang an in Vorteil, während Stockfish die Stellung als += beurteilte. In der Folge wurde er regelrecht ausgeweidet (mit Weiss hingegen konnte er Leelas Verteidigung in gleicher Eröffnung nicht durchbrechen)
Partie 12 habe ich schon erwähnt. Mit Weiss konnte Stockfish in Partie 11 die Verteidigung nicht durchbrechen. Aber auch Leela konnte in dieser speziellen Variantenvorgabe kaum mehr als ein Remis erreichen. Dann allerdings der oben erwähnte Fehler. Die typische Schwäche rein selektiver Programme sind die taktischen Löcher, die sich ab und an auftun. Von einem herausgearbeiteten Sieg kann man hier allerdings kaum reden.
Partie 16 zeigt die typische Schwäche von Stockfish in geschlossen angelegten Fianchetto-Eröffnungen. Während in Partie 15 Leela mit Schwarz locker vom Hocker verteidigen konnte (Stockfish träumte noch von +- als Leelas Bewertung sich schon lange in Richtung Gleichstand bewegte) konnte sie mit Weiss den guten Stockfish genüsslich zusammenschieben. Während Stockfish lange Zeit auf Bewertungen von +0.62 für Weiß verharrte und die Stellung absolut nicht verstand, stieg Leelas Bewertung ständig an. Erst in bereits definitiv gewonnener Stellung hatte man den Eindruck dass der Sieg Leelas schneller hätte kommen können. Oder war das vielleicht eine sadistische Anwandlung, den Gegner so lange zu quälen... grins
Partie 18: Während in der vorherigen Partie Stockfish lange an eine für ihn bessere Stellung glaubte, erwies sich in der Folge, dass man mit Glaubenssätzen und einer Bewertung über 1.5 noch keine Partie gewinnt. Leela verteidigte gekonnt und rettete die Stellung ins Remis. Mit Schwarz kam Stockfish dann aber weniger gut weg. Leela spielte ihre Vorteile sehr gut heraus und diesmal war es dann witzigerweise das Takti´ckmonster Stockfish, der mit 40. ...Dxd5 patzte.
Partie 24: Sehr schön herausgespielte italienische Eröffnung. Witzigerweise gerade in einer offenen Partie, die naturgemäß Stockfish besser liegt, spielte sich Leela einen Vorteil nach dem anderen heraus. Stockfish mit Weiss schaffte dies in Partie 23 jedoch nicht.
Partie 26: Im Dameninder wieder eine gut angelegte Partie in der sich Leela die Vorteile schön herausspielte. Auch hier gelang es Stockfish in Partie 25 nicht, ähnliches zu leisten.
Partie 35 und 36. Die Stellung im vorgegebenen Sizilianer scheint Weiss deutlich zu bevorzugen. Jedoch, so einfach ist es nun auch wieder nicht. In Partie 35 verteidigte sich Leela eigentlich recht gut und griff erst im 111. Zug mit Ke7 daneben. In einer Phase, als quasi nur noch geblitzt wurde. Und da zeigt sich natürlich der Vorteil einer taktisch starken Engine wie Stockfish. Blitzen kann er einfach besser. Umgekehrt in Partie 36 die nicht so lange dauern sollte. Leela nutzte Raumvorteile und schnürte Stockfish systematisch ein. Stockfish konnte die Stellung zwar lange verteidigungsfähig halten, verbrauchte dabei aber zuviel Zeit. Und es hilft eben nicht ein taktisches Blitzmonster zu sein, wenn der Gegner noch über eine halbe Stunde auf der Uhr hat.
Partie 38. Englische Eröffnung. Scheint SF auch nicht so zu liegen. Mit Weiss kam er zu keiner Zeit übers Remis hinaus, und mit Schwarz... Naja. Leela spielte sich auch hier einen Vorteil nach dem anderen heraus und Stockfish verstand die Stellung einfach nicht. Leelas Bewertung lag um den 50. Zug herum bereits lange Zeit bei über +5 während Stockfish zwar mit etwas über +2 zwar eine schwierige aber noch lange nicht verlorene Stellung erkannt. Leela behielt allerdings recht...
Über Partie 39 und 40 schweigt des Sängers Höflichkeit. Die vorgegebene Stellung mit Weiss nicht zu gewinnen, wäre wahrscheinlich eine höhere Kunst, als sie zum Gewinn zu führen, was beiden Programmen auch mühelos gelang.
Partie 43. Im vorgegebenen Zweispringerspiel wählt Stockfish mit dem Springereinschlag auf f7 eine sehr aggressive Fortsetzung. Nichtsdestotrotz dümpelt aus weisser Sicht die Bewertung lange Zeit zwischen +1,3 und etwas über +2 hin und her. Und daran ändert sich auch zwischem dem 20. und 78. Zug nichts. Man kann jetzt vorzüglich darüber streiten, ob es einfach eines von Leelas berüchtigten taktischen Löchern oder die Zeitnot war, die zu dem Patzer 78. ...Lc3 führten (78. ...Dc1+ hätte Remis gehalten, aber Leela hatte nur noch 40 Sekunden auf der Uhr, Stockfish hingegen über 20 Minuten). Fakt ist, auch hier entschied ein Patzer und nicht etwa Stockfishs Können.
Partie 45: Im Dameninder ein ähnliches Scenario wie in Partie 35. Nahezu mühelos konnte Leela die für Schwarz schwierige Stellung im Gleichgewicht halten, bis dann der Zeitnotteufel zuschlug. Man kann vieles gegen Stockfish ins Feld führen, aber im Blitz ist er einfach besser. Und das bekam Leela dann auch deutlich zu spüren.
Ich will jetzt gar nicht auf die unzähligen Remispartien eingehen. Aber auch hier war es meist dann die Zeitnot oder ein taktisches Loch, die eine für Leela bessere Stellung dann zugunsten von Stockfish drehen konnte. So wären die Partien 28 und 46 Mit Sicherheit Gewinne für Leela gewesen, wenn hier nicht der Blitzteufel zugeschlagen hätte.
Sieht man sich die Ergebnisse unter der Prämisse an, dass man eine Analyseengine fürs Fernschach sucht, dann sehe ich (entsprechende Hardware vorausgesetzt) Leela hier durchaus im Vorteil, da genau die Probleme, die Leela im TCEC-Turnier hat, hier kaum eine Rolle spielen. Die wenigen verbliebenen taktischen Löcher kann man durch Gegenprüfung mit Stockfish relativ schnell stopfen und die weit häufiger aufgetretenen Zeitnotfehler spielen im Fernschach absolut keine Rolle (zumindest wenn man der Engine auch mal ein paar Minuten Zeit einräumt). Es kommt natürlich immer drauf an, welche Hardware man zur Verfügung hat. Mein i7 mit 4 Kernen mit Stockfish und ASM Fish kann gegen die eingebaute GTX 970 (und das ist nun wirklich nicht gerade das schnellste, aber am Gebrauchtmarkt günstig zu kriegen) kaum mehr mithalten. Er kann Remis halten, ja. Er kann vielleicht mal gewinnen, wenn ich Partien mit kurzen Bedenkzeiten spiele. Aber bereits im Turnierschach wirds schon eng. Hat man einen entsprechenden PC mit einem guten Netzteil stehen, dann ist eine günstige RTX-Grafikkarte (es muss nicht gleich die RTX 2080TI sein) der vorhandenen CPU in der Regel überlegen (nicht jeder hat ja eine Turniermaschine mit 44 Kernen wie die Jungs bei TCEC). Aber da muss man einfach im Ernstfall vergleichen, was man an Hardwareressourcen hat um einen wirklichen Vergleich machen zu können. In der Regel dürfte es aber günstiger sein, sich in den vorhandenen Rechner eine neue GPU einzubauen als einen Hochleistungsrechner für mehrere 1000 Euronen zu kaufen.
Der Vergleich des TCEC-Turniers täuscht natürlich über die Tatsache hinweg, dass die Hardwareausstattung die Stockfish hier zur Verfügung hat, ein Vielfaches dessen kostet, was man für die beiden GPUs ausgeben müsste, die Leela zur Verfügung stehen.
Wer meine Ausführungen gerne nachprüfen will... Sämtliche bisher gespielten Partien zum Nachspielen findet man übrigens hier:
https://cd.tcecbeta.club/archive.html?s ... =sf&game=1