Bewertungsfunktion von LC0 zu pessimistisch?

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Gerhard
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Bewertungsfunktion von LC0 zu pessimistisch?

Beitragvon Gerhard » Di 17. Dez 2019, 00:16

Ich weiß, dass es im Forum einige große Fans con LC0 gibt. Es kann auch sein, dass ich mit diesem Post in offenen Wunden herumstochere. Ich benutze LC0 seit mehreren Wochen als "zweite Meinung" und kann die Euphorie, die hier in einigen Threads verbreitet worden ist, nicht teilen.

Mir ist in mehreren Stellungen aufgefallen, dass die Bewertungsfunktion von LC0 doch - vorsichtig formuliert - einige Schwächen hat. Ich könnte dafür mehrere Beispiele bringen. Ganz drastisch ist es mir in einer Partie im Finale des 10. Senioren-Fernschach-Cups aufgefallen. Nachdem ich mit Weiß meine Schwerfiguren auf der 7. Reihe triplieren konnte (bei Materialgleichstand), erkannten die klassischen Engines (Kommodo, Stockfish) die Gefährlichkeit dieser Batterie und sagten ein Matt in 12 Zügen an. LC0 schätzte die Stellung mit +1.90 lediglich als leicht vorteilhaft ein, also auf keinen Fall gewonnen. Die Partie war dann allerdings recht bald zu Ende; ein krasses Fehlurteil von LC0.

Welche Erfahrungen haben andere Mitglieder mit LC0 gemacht?

Gerhard
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Wolf
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Re: Bewertungsfunktion von LC0 zu pessimistisch?

Beitragvon Wolf » Di 17. Dez 2019, 08:45

Hallo Gerhard,
was für ein Netz hast Du verwendet? Hast Du mal andere Netze ausprobiert? Wenn ja, zeigen die das gleiche Ergebnis?
Dir ist ja bekannt das Lc0 mit der Centipawn-Bewertung nicht ganz klar kommt. Normalerweise arbeitet er mit der Wahrscheinlichkeitsrechnung.
Lc0 ist im Spiel gegen andere Engines stark. Vor allem in der Eröffnung und im Mittelspiel, aber im Endspiel schwach. Es gibt einige Netze die in Bezug auf das Endspiel optimiert wurden, aber ...........
Als Analyseengine, besonders fürs Fernschach ist sie weniger geeignet.

Wolfram

Gerhard
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Re: Bewertungsfunktion von LC0 zu pessimistisch?

Beitragvon Gerhard » Di 17. Dez 2019, 18:51

Hallo Wolfram,

danke für die schnelle Antwort.

was für ein Netz hast Du verwendet? Hast Du mal andere Netze ausprobiert? Wenn ja, zeigen die das gleiche Ergebnis?

Benutzt habe ich die Netze 42471, 42473 und das Testnetzwerk T 40.T8.610. Die Ergebnisse unterschieden sich nur marginal.

Dir ist ja bekannt das Lc0 mit der Centipawn-Bewertung nicht ganz klar kommt.

Das mag ja alles sein, aber zwischen einem zwingenden Matt in 12 Zügen und der Bewertung +1.90 liegen schon Welten. Mit den Centipawns hat das wohl wenig zu tun.

Lc0 ist im Spiel gegen andere Engines stark. Vor allem in der Eröffnung und im Mittelspiel, aber im Endspiel schwach.

Ich habe in meinem ersten Beitrag eine typische Mittelspielstellung beschrieben, bei noch ziemlich vollem Brett. Gut: Ganz gewöhnlich war sie auch nicht, denn eine Triplierung der Schwerfiguren auf der vorletzten Reihe kommt nicht jeden Tag vor. Aber die klassischen Engines kamen damit gut zurande.

Mein Punkt ist nur der: In der jetzigen Situation ist LC0 als Hauptengine für das Fernschach für mich nicht einsetzbar, aber als zweite Meinung in bestimmten kritischen Situationen schon nutzbar. In etwa 70% der Fälle stimmt LC0 ohnehin mit den klassischen Engines überein.

Gerhard
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Asmodis
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Re: Bewertungsfunktion von LC0 zu pessimistisch?

Beitragvon Asmodis » Mi 18. Dez 2019, 22:12

Hallo Gerhard

Ich benutze immer die Netze, die im aktuellen TCEC mitspielen. Damit ist man normal bestens ausgerüstet. Aber auch da dürften sich die Ergebnisse in der von Dir beschriebenen Stellung nicht unterscheiden.

LC0 ist nach wie vor ein Projekt, welches man nicht ausschließlich für die Analyse hernehmen sollte. Gerade taktische Situationen sollte man mit herkömmlichen Engines gegenprüfen. Gerade solche Situationen, wie die von Dir beschriebene sind bei LC0 keine Seltenheit. Wenn LC0 aus seiner Sicht einen Gewinn sieht, dann spielt er den entsprechenden Zug unabhängig davon, ob jetzt ein schnellerer Gewinnweg auffindbar ist. Das ist eine selektive Schwäche des Programms. Angeblich soll das aber mit der neuesten Engineversion 0.23 behoben sein oder ist zumindest verbessert worden.

LC0 ist gut in Stellungen in denen die herkömmlichen Engines nicht vorwärtskommen oder planlos agieren. Da hat man mit LC0 dann meist die besseren Karten. In taktischen Stellungen jedoch sind die herkömmlichen Engines noch deutlich vorne. Das erklärt allerdings auch, warum LC0 z.B. gegen Stockfish überaus erfolgreich ist. Stockfish fischt gerade in positionellen Stellungen oftmals im Trüben oder kommt in einer bestimmten Situation nicht weiter. Gerade wenn er taktisch nichts findet agiert er oft planlos. LC0 vermeidet, wenn er die Stellung von vornherein aufbauen darf, solche taktischen Verwicklungen, so dass die Vorteile der Engine kaum zum Tragen kommen. In der Fernschachanalyse hat man natürlich da ganz andere Situationen. Man muss dann halt abschätzen, welche Engine jetzt auf die entsprechende Stellung passt bzw. auch mal beide parallel laufen lassen.

Ob man LC0 als Hauptengine im Fernschach einsetzen mag oder nicht ist sicherlich Geschmackssache. Man sollte sowieso niemals nur eine Engine benutzen. Auch kommt es sehr stark auf den Eröffnungsaufbau an. Spielt man eine Eröffnung, die LC0 auch wählen würde, hat man meist gute Karten. Spielt man jetzt etwas eigenes (z.B. Sweschnikov im Sizilianer) dann wird man mit LC0 vermutlich wenig Glück haben.

Ich benutze derzeit LC0 neben 2 anderen Engines wobei in einigen Partien auch LC0 als Hauptengine fungiert. In der DFMM hab ich 2 klar gewonnene Stellungen. In beiden war LC0 die Hauptengine. Steht nicht für die Welt, aber ist immerhin ein guter Grund es weiter zu benutzen.

Je näher eine Position sich allerdings dem Endspiel nähert umso mehr sollte man dann auf andere Engines umschwenken. Endspiel ist ncht so Leelas Spezialität.
Liebe Grüße

Hartmut Hering


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