Bedenkzeitregelung in hochklassigen ICCF/BdF-Turnieren

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hdwunderlich
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Bedenkzeitregelung in hochklassigen ICCF/BdF-Turnieren

Beitragvon hdwunderlich » So 11. Apr 2021, 11:57

Liebe Fernschach-Freunde,

folgende E-Mail habe ich soeben an den Präsidenten des BdF gesendet. Ich bin gespannt auf eine lebhafte Diskussion:

Hallo Herr Scheiba,

in den letzten Jahren ist ein Trend zur Beschleunigung des Fernschach zu beobachten, der mittlerweile auch auf hochklassige Turniere wirkt bis hin zum kürzlich gestarteten Elite-Turnier der Kategorie 15 anlässlich des 70. ICCF-Jubiläums. Aus meiner Sicht gibt es keinen nachvollziehbaren Grund, in derart stark besetzten Turnieren von der Standard-Bedenkzeit "50 Tage für 10 Züge (50/10)" abzuweichen und den daraus resultierenden Qualitätsverlust der Partien in Kauf zu nehmen.
Eine Ausnahme mag gerechtfertigt sein bei Turnieren, die eine kalkulierbare Gesamtdauer erfordern und (nur!) deshalb vom Triple-Block-System (TBS) Gebrauch machen.
Ich möchte Sie daher um folgendes bitten:

    Machen Sie als Vertreter eines der wichtigsten nationalen Verbände Ihren Einfluss bei der ICCF dahingehend gelten, dass alle künftigen Spitzenturniere mit normaler Bedenkzeit 50/10 durchgeführt werden. Dies sollte insbesondere für die zum 75. Jubiläum der ICCF im Jahr 2026 zu erwartenden Turniere gelten, die zwar noch nicht unmittelbar anstehen, bei denen jedoch die ersten Überlegungen in absehbarer Zeit anzustellen sind.
    Stellen Sie sicher, dass auch die vom BdF zukünftig auf dem ICCF-Server veranstalteten Spitzenturniere weiterhin mit normaler Bedenkzeit 50/10 durchgeführt werden. Insbesondere die Turniere anlässlich des 75. BdF-Jubiläums in diesem Jahr (2021), aber auch die traditionellen Einladungsturniere "GER/GMxx/y", die ja hoffentlich in Zukunft auch wieder ausgetragen werden.



Vielen Dank und mit freundlichen Grüßen,

Dr. Hans-Dieter Wunderlich


Viele Grüße,
H.D. Wunderlich
Viele Grüße,
H.D. Wunderlich

gmflash
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Re: Bedenkzeitregelung in hochklassigen ICCF/BdF-Turnieren

Beitragvon gmflash » So 11. Apr 2021, 16:52

Hallo,

ich möchte mich dem Wunsch von H.D. gern anschließen.

Mit den ICCF-Jubiläums-Turnieren wurde eine für mich neue Methode zur Bedenkzeitkontrolle eingeführt. Partien zu spielen, die unterschiedlichen Kontrollverfahren für Bedenkzeit unterliegen, stelle ich mir schwierig vor. Fernschach hat gerade den Vorteil, sich weitgehend gar nicht um Bedenkzeit kümmern zu müssen.

Ich erlebe immer mehr Partien, in denen ich fast ununterbrochen am Zug bin, weil meine Gegner offenbar vertrauensvoll Enginevarianten herunterspulen, manchmal sogar unter Zuhilfenahme der Eventualzugfunktion. Sehr gerne -- aber dafür brauche ich dann auch einen Rahmen von 50 Tagen für 10 Züge.

Viele Grüße
Stephan Busemann

hbroß
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Re: Bedenkzeitregelung in hochklassigen ICCF/BdF-Turnieren

Beitragvon hbroß » Mo 19. Apr 2021, 23:18

Hallo,

ich möchte den Fernschachfreunden Wunderlich und Busemann insofern Recht geben, dass die verkürzte Bedenkzeitregelung in den ICCF Jubiläumsturnieren die Qualität der Partien wahrscheinlich ein wenig reduzieren wird. Andererseits denke ich, dass ist sicher auch der Sinn der Sache.

Wie schon seit längerem bekannt, stirbt Fernschach in der klassischen Form derzeit den Remistod. Viele ehemalige Spieler haben das Hobby Fernschach bereits aus diesem Grund an den Nagel gehängt. Bei oder trotz Nutzung der üblichen Software und bei einem ernsthaftem Herangehen an die eigenen Turnierpartien ist es kaum noch möglich zu gewinnen oder zu verlieren. Um die Remisquote zu reduzieren gibt es sicherlich Ansätze. Eine Möglichkeit ist es, die Regeln des klassischen Schachs zu verändern, wie z.B. bei Chess960. Oder ein Engineverbot zu erlassen. Beides bietet der BDF als Alternative an und das ist auch gut so.

Die Reduzierung der Bedenkzeit und damit die Erhöhung des Stressfaktors könnte aber auch eine Möglichkeit sein, die Remisquote etwas zu reduzieren. Ganz einfach weil die Qualität der Partien dadurch sinkt. Von daher finde ich persönlich es gut, dieses auch in Spitzenturnieren zu testen und begrüße die Regelung in den ICCF-Jubiläumsturnieren. Die gute alte Fernschach-Zeit, in der ein Turniersieger noch mehr als 50% seiner Partien gewinnen konnte, wird aber wohl trotzdem nicht zurückkehren.

Liebe Grüße
Horst Broß

gmflash
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Re: Bedenkzeitregelung in hochklassigen ICCF/BdF-Turnieren

Beitragvon gmflash » Di 20. Apr 2021, 00:25

Hallo Horst,

Das nimmt aber bekanntlich und ganz bewusst Verzerrungen der Chancen inkauf, weil nicht jeder so viel Zeit hat, dass er mit verkürzter BZ erfolgreich sein kann. Und "Erfolg" wird ja irgendwie ganz groß geschrieben - daher ja die ganze Debatte. Fernschach zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass man kaum auf seine Bedenkzeit achten muss, sondern nach dem besten Zug suchen kann, gern auch mal zwei Wochen lang. Wenn Du das wegnimmst, verliert es eine wesentliche Eigenschaft. Partien wegen gegnerischer Zeitnot zu gewinnen ist eben kein "Schach pur" mehr, sondern ähnelt Nahschachkonditionen. Du kriegst, was Du suchst - mehr Einsen und Nullen - aber zu welchem Preis?

Das Problem mit den Remisen muss man anders zu lösen versuchen, meine ich.

Viele Grüße
Stephan (Busemann)

hbroß
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Re: Bedenkzeitregelung in hochklassigen ICCF/BdF-Turnieren

Beitragvon hbroß » Sa 24. Apr 2021, 00:06

Hallo Stephan,

ich gebe Dir da völlig Recht. Eine Reduzierung der Bedenkzeit verändert die Chancen der einzelnen Spieler. Wer berufstätig ist, hat in der Regel weniger Zeit um sich seinem Hobby zu widmen und somit deutliche Nachteile gegenüber demjenigen, der z.B. schon im Ruhestand ist. Weiterhin gibt es auch Spieler, die dadurch erhebliche Vorteile erzielen, indem sie mehrere Rechenknechte für sich arbeiten lassen. Das alles ist nicht im Sinne des eigentlichen Zieles von Fernschach. Nämlich ohne zeitlichen Stress den bestmöglichen Zug zu finden. Ich denke, in dieser Ansicht stimmen wir beide überein.

Aber, und das lässt sich leider nicht wegdiskutieren, unter normalen Umständen lässt sich nunmal in hochklassigen Turnieren kaum noch eine Partie regulär gewinnen. Dafür ist Stockfish & Co. mittlerweile einfach zu mächtig. Die von Dir angesprochene andere Lösung, die gefunden werden muss um weniger Remisen zu erzielen, sehe ich nicht. Zumindest wenn wir die Spielregeln nicht verändern wollen.

Die Reduzierung der Bedenkzeit - oder meinetwegen alternativ auch die Erhöhung der Anzahl der Partien - schafft wahrscheinlich ein paar mehr Einsen und Nullen in der Turniertabelle, zu einem Preis in Form von Zeitstress, den der ein oder andere nicht bereit ist zu bezahlen. Ich bin dennoch der Meinung, dass diese Regelung in den ICCF-Jubiläumsturnieren durchaus einen Versuch wert ist um Erfahrung damit zu sammeln. Ich jedenfalls hätte ohne diese neue (verkürzte) Bedenkzeitregelung wahrscheinlich nicht teilgenommen.

Letztendlich muss natürlich jeder für sich entscheiden, an welchen Turnierformen er teilnehmen möchte. BDF und ICCF bieten da aus meiner Sicht eine Vielzahl von Möglichkeiten.

Liebe Grüße vom Niederrhein
Horst Broß

Asmodis
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Re: Bedenkzeitregelung in hochklassigen ICCF/BdF-Turnieren

Beitragvon Asmodis » Sa 24. Apr 2021, 13:11

hbroß hat geschrieben:
Aber, und das lässt sich leider nicht wegdiskutieren, unter normalen Umständen lässt sich nunmal in hochklassigen Turnieren kaum noch eine Partie regulär gewinnen. Dafür ist Stockfish & Co. mittlerweile einfach zu mächtig. Die von Dir angesprochene andere Lösung, die gefunden werden muss um weniger Remisen zu erzielen, sehe ich nicht. Zumindest wenn wir die Spielregeln nicht verändern wollen.

Die Reduzierung der Bedenkzeit - oder meinetwegen alternativ auch die Erhöhung der Anzahl der Partien - schafft wahrscheinlich ein paar mehr Einsen und Nullen in der Turniertabelle, zu einem Preis in Form von Zeitstress, den der ein oder andere nicht bereit ist zu bezahlen. Ich bin dennoch der Meinung, dass diese Regelung in den ICCF-Jubiläumsturnieren durchaus einen Versuch wert ist um Erfahrung damit zu sammeln. Ich jedenfalls hätte ohne diese neue (verkürzte) Bedenkzeitregelung wahrscheinlich nicht teilgenommen.



Hallo Horst

Deinen Punkt sehe ich wohl, allein...

Das Problem ist, dass die Verkürzung der Bedenkzeit vermutlich nur einen sehr geringen Effekt haben wird. Es kommt natürlich auch ein wenig drauf an, wie der Einzelne analysiert. Wer nur seinen Stockfish (oder welche Engine auch immer) rechnen läßt wird sehr schnell ernüchtert sein. In der Regel kommt - zumindest bei den heutigen modernen Engines und entsprechend schnellem Rechner - bis auf ganz wenige Ausnahmen dasselbe raus, wenn ich Stockfish z.B. eine Viertelstunde rechnen lasse oder wenn ich ihm erlaube die ganze Nacht durchzulaufen (kann jeder gerne selbst ausprobieren). Der einzige Unterschied im Ergebnis ist in aller Regel die Höhe der Stromrechnung.

Für die Leute die anders arbeiten, also mit Hilfe von Stockfish (oder jeder anderen Engine) verschiedene Wege ausprobieren, sich also wirklich mit der Partie auseinandersetzen, ist die Bedenkzeitverkürzung in der Regel ein Problem - aus den von Dir selbst genannten Gründen. Einfach weil die Möglichkeit sich richtig in die Partie reinzuvertiefen, Pläne zu entwickeln, und diese dann mit der Engine zu überprüfen aus Zeitgründen fehlt, was sich auf die Qualität der Analyse legt und für die eigene Spielqualität dann auch wenig bringt.

Das bedeutet im Endeffekt: Von der Verkürzung profitieren hauptsächlich diejenigen, die selber an der Partie wenig bis nichts machen und der Engine die Hauptarbeit überlassen, also denjenigen die nur den Operator für ihre Engines spielen, während diejenigen, die sich ernsthaft mit der Partie auseinandersetzen wollen auf der Strecke bleiben, weil sie z.B. berufstätig sind. Und da frage ich mich ernsthaft: Wollen wir das wirklich? Ich kann hier nur für mich sprechen, aber ich sehe die kürzeren Bedenkzeiten hier eher kritisch, wenngleich ich es natürlich jedem gönne, der sich an so einem Turnier beteiligen will. Ich sehe darin aber eher wenig Sinn.
Liebe Grüße

Hartmut Hering

hdwunderlich
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Re: Bedenkzeitregelung in hochklassigen ICCF/BdF-Turnieren

Beitragvon hdwunderlich » Fr 30. Apr 2021, 08:07

Liebe Fernschachfreunde,

ich freue mich über die Antwort des BdF-Präsidenten Manfred Scheiba, dass er beide von mir angesprochenen Punkte in seiner Tätigkeit berücksichtigen wird. Auch schreibt er "Unsere zukünftigen Einladungsturniere und die Spitzenturniere anlässlich des 75. Jubiläum des BdF werden in der gewohnten Art und Weise organisiert." Das Tripel-Block-System und andere Verkürzungen der Standardbedenkzeit 50/10 werden uns also zumindest in diesen Turnieren erspart bleiben.

Mit freundlichen Grüßen,
H.D. Wunderlich
Viele Grüße,
H.D. Wunderlich


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