Hallo Rene
Ich hab kein Problem mit dem Thread solang es im Rahmen einer vernünftigen Diskussion bleibt. Darum bin ich Deinem Wunsch auch gerne nachgekommen. Und ich gebe Dir Recht. Nachvollziehen kann ich den Ärger von Henner an der Regelung grundsätzlich auch. Das Problem bei ihm war allerdings, dass hier (vermutlich) die Einstellung seiner Engine nicht korrekt war. Anders ist es nicht zu erklären, dass das Programm eine Remiswertung auswirft, während ein zwingendes Matt möglich ist. In Henners Fall war es vermutlich die Einstellung "Syzygy 50 Züge Regel". Zudem hatte er nach seiner eigenen Darstellung wohl die Regelung der Reklamation aufgrund von 6-Steinern (unter Umgehung der 50-Züge-Regel) wohl erst nachträglich gelesen. Zumindest habe ich seinen Post so verstanden.
Was die Regelung selbst betrifft, kann man natürlich geteilter Meinung sein. Man darf aber hier einfach nicht vergessen dass heutzutage Fernschach ein ganz anderes Spiel ist als Nahschach. In den Zeiten als wir noch ohne Server mit reinem Briefschach gearbeitet haben und die elektronischen Helferlein aus spielschwachen Brettschachcomputern bestanden war die Sache natürlich noch einfach. Von der Bedenkzeitregelung abgesehen waren die Regeln mit denen des Nahschach nahezu identisch. Heutzutage ist jedoch in manchen Teilen einfach nicht mehr zweckmäßig, da die elektronischen Helfer einfach mehr können und sich die Voraussetzungen geändert haben.
Im Nahschach steht doch kein Spieler auf, geht zum Schiedsrichter und reklamiert den Gewinn, weil er erkannt hat, dass er seinen Gegner in (sagen wir) 10 Zügen matt setzen kann - er muss es beweisen, sprich das Matt vollenden.
Ich finde, so sollte es auch im Fernschach sein. Eine Partie ist erst dann zu Ende, wenn ein Spieler aufgibt oder (zum Beispiel) matt gesetzt wird - aber nicht schon dann, wenn eine Maschine feststellt, dass es bis zum (unausweichlichen) Matt noch 82 Züge braucht.
Da hast Du natürlich Recht. Im Nahschach muss man es beweisen. Im Nahschach gibt es aber auch die Möglichkeit dass der Spieler das Matt übersieht, in der Berechnung einen Fehler hat, in der Eile die richtige Reihenfolge der Züge verwechselt, in Zeitnot das Matt nicht mehr schafft, etc. Solange der angenommene 10-Züger nicht aus einer Reihe von erzwungenen Zügen besteht sondern mehrere Varianten möglich sind, würde es vermutlich sogar länger dauern, dem Schiedsrichter die einzelnen Varianten zu zeigen, als den Gegner wirklich mattzusetzen. Und zuallerletzt... selbst wenn der Gegner alle vorherigen Züge geblitzt hätte, wie lange könnte er in einer Partie den Gegner hinhalten bis der Verlust unausweichlich ist? Maximal 2 Stunden, dann ist die Uhr abgelaufen.
Wie wäre es nun im Fernschach mit dem genannten Matt in 82?
Fehler in der Berechnung? Nahezu ausgeschlossen. Die Engine macht hier (vor allem mit den Tablebases) keine Fehler mehr. Das Matt ist tatsächlich unausweichlich
In der Eile die Züge verwechseln? Wird im Normalfall auch nicht passieren. Auch hier sind die Tablebases zuverlässig
Zeitnot? Selbst wenn ich nur noch einen Tag auf der Uhr habe... Antworte ich nach z.B. 23 Stunden wird das als 0 Tage gerechnet. Die Zeitnot wird mir also hier keine Falle mehr stellen.
Dagegen steht die Möglichkeit der Verzögerung.
Im Nahschach reden wir hier von vielleicht 2 Stunden (in der Regel weniger). Da geh ich mal kurz ein Bierchen trinken oder bestelle mir ne zünftige Schweinshaxe und spätestens wenn der Kellner zum kassieren kommt ist die Uhr des Gegners gefallen.
Im Fernschach - um Dein Beispiel mit Matt in 82 herzunehmen - reden wir hier bei einer Bedenkzeitregelung von 10 Zügen in 50 Tagen von sage und schreibe 410 Tagen (hinzu kommen vermutlich noch 30 Tage Urlaub im Jahr was das ganze dann auf 470 Tage streckt). Der Gegner kann also die verlorene Partie mehr als ein Jahr lang vor sich herschieben. Während im Nahschach aus verschiedensten Gründen vieleicht noch ein Fingerfehler drin ist, besteht im Fernschach die einzige Chance des Gegners darin, dass ich zwischenzeitlich aufgrund von Altersschwäche den Weg alles Irdischen gehe.
Aufgrund dieser Tatsache bin ich persönlich froh, dass es diese Reklamationsmöglichkeit gibt (zumal ich in verschiedenen Mannschaftskämpfen derzeit 4 Partien habe, in denen der Gegner jetzt in verlorener Stellung verzögert bis zum Geht-nicht-mehr). Ohn e diese Regelung wäre z.B. eine vernünftige Championsleague mit Auf- und Absteigern oder andere große Turniere mit Vor-, Zwischen- und Endrunden gar nicht in einem vertretbaren Zeitraum zu bewältigen (jedenfalls nicht mit den aktuellen Bedenkzeitregelungen. Mit der im Moment vieldiskutierten Triple-Block-Regelung mag es anders sein. Aber auch da reden wir von großen Zeiträumen). Gerade aus diesem Grund würde ich ich auch beim Bdf eine solche Reklamationsregelung begrüßen, zumindest wenn es um solche großen Turniere wie z.B. die DFMM handelt. In den normalen Klassenturnieren wäre es allerdings nicht unbedingt erforderlich.
Natürlich: wenn er konsequent und fehlerfrei die Züge aus der Datenbank herunterspult, steht das Ergebnis eigentlich schon fest. Aber mit welchem Recht nimmt man ein bestimmtes Ergebnis vorweg, das nicht durch reguläres "Spielen bis zum Schluss" erzielt wurde?
Genau das ist aber der Punkt. Durch die Datenbank steht das Ergebnis eigentlich schon fest. Im Nahschach hat man diese Datenbank nicht und damit auch kein feststehendes Ergebnis. Im Fernschach durch die Datenbank ist es aber nunmal so dass es einfach eine Zeitverschwendung wäre etwas beweisen zu wollen, was bereits feststeht. Es ist wie in der Wissenschaft (und in gewisser Weise ist auch Schach eine Wissenschaft). Auf einem Planeten wie unserer guten alten Erde käme - außer zu Übungszwecken für Schüler oder Studenten - auch keiner auf die Idee beweisen zu wollen, dass ein Stein, den ich fallen lasse am Boden ankommt. Ich weiss dass das passieren wird. Warum also soll ich jetzt im Fernschach beweisen, dass ein feststehendes Ergebnis auch tatsächlich feststeht?
Ich weiß jetzt nicht, ob das zu utopisch klingt, aber was machen wir, wenn es eines Tages vielleicht möglich sein wird, Endspiele mit zum Beispiel 10 Steinen durch eine Datenbank zu jagen? Heißt es dann beim ICCF, Spieler X gewinnt, weil ein Matt in 123 Zügen folgt? Ich finde diese Vorstellung schrecklich und bin da ganz bei Henner Hamann: "nicht mehr der Schachspieler entscheidet, sondern die Schachmaschine."
Die Frage ist natürlich berechtigt, zumal ja zwischenzeitlich auch die 7-Steiner komplett gelöst sind. Allerdings... wenn ich als Fernschachspieler alle 7-Steiner installieren will, brauche ich derzeit Festplattenkapazitäten, für deren Preis ich auch einen nagelneuen Kleinwagen kaufen kann. Mag sein, dass wir irgendwann die Festplatten- und Rechnerkapazitäten haben werden, um auch einen 10-Steiner zu lösen. Aber mit dem Problem dürfen sich vielleicht unsere Enkel beschäftigen... unsereinen wird es wohl eher nicht mehr tangieren. Natürlich ist diese Vorstellung erschreckend, aber irgendwann hat alles ein Ende. Manche Spiele wie Dame oder Mühle sind bereits komplett gelöst und damit als Fernpartie unsinnig geworden. Und vielleicht wird das irgendwann beim Schach auch der Fall sein. Dem Nahschach wird es nicht schaden. Allenfalls das Fernspiel wird dann seinen Reiz verlieren. Aber so ist es nun mal. Aber davon sind wir noch weit weg. Solang nicht die ganze Partie fehlerfrei gespielt werden kann und wir nur über 6-Steiner reden, entscheidet nach wie vor der Mensch und nicht die Maschine. Und sollte es irgendwann mal anders sein, dann ist es halt so. Dann müssen wir uns eben auf Spiele verlegen, die von Computern noch nicht gelöst worden sind. Es gibt z.B. verschiedene Ansätze für 3D-Schach und ähnliches. Man kann die Entwicklung eben nicht aufhalten. Im Moment ist es aber noch lange nicht so, dass die Maschine entscheidet. Die Kunst im Fernschach besteht (zumindest momentan noch) eben in der Kunst die Hilfsmittel einerseits richtig einzusetzen (richtige Konfiguration der Engines) und andererseits darin Stellungen herbeizuführen in denen die "Helferlein" überlistet werden können. Es gibt viele Stellungstypen in denen auch ein Stockfish 10 hoffnungslos überfordert ist. Aber dazu kann jeder Interessierte demnächst einen Artikel in der Fernschachpost lesen.
Wie gesagt. Die Vorstellung dass Schach vielleicht eines Tages komplett gelöst wird, erschreckt mich auch. Ich nehme da die Sorgen von Dir und Henner durchaus ernst. Ich finde nur dass man alles übertreiben kann. Wir werden diesen Zeitpunkt vermutlich nicht mehr erleben, warum also sich darüber aufregen. Und... wir Menschen sind ja erfinderisch und finden dann eben andere Hobbies...
In diesem Sinne wünsche ich Euch erstmal ein schönes Wochenende und einen schönen 3. Advent. Ich muss derzeit leider erstmal meine gebrochene Rippe pflegen...
Hartmut